Während in Deutschland zurzeit das Thema „Unternehmenssanktionen“ heiß, heftig und kontrovers diskutiert wird, ist dieses Thema in Italien schon seit fast 20 Jahren „Standard“. Und so entkommen Unternehmen mit Sitz im Ausland, also beispielsweise in Deutschland, den in Italien vorgesehenen Sanktionen selbst dann nicht, wenn die Tat durch persönlich verantwortliche Manager oder Mitarbeiter “nur“ in Italien begangen wurde – es sei denn, ein hinreichendes Compliance-System wird „implementiert und gelebt“.
Das musste unlängst ein niederländisches Unternehmen „bitter“ am eigenen Leibe spüren: Der italienische Kassationsgerichtshof bestätigte in seinem Urteil Nr. 11626 vom 7.04.2020 letztinstanzlich seine internationale Zuständigkeit nicht nur bezüglich der Verurteilung der Mitarbeiter, denen Korruption im Rahmen eines italienischen Insolvenzverfahrens vorgeworfen wurde, sondern auch bezüglich des niederländischen Unternehmens selbst, das mangels eines in den Niederlanden implementierten und gelebten Compliance Systems die Straftaten der Mitarbeiter nicht unterbunden hatte. Das Unternehmen wurde als solches „sanktioniert“.
Italienische Gerichte zuständig trotz Unternehmenssitz im Ausland
Die von der Verteidigung des niederländischen Unternehmens erhobene Rüge der internationalen Unzuständigkeit italienischer Gerichts wurde zurückgewiesen. Diese hatte argumentiert, dass das niederländische Unternehmen als solches doch gar nicht in Italien agiert (oder zu agieren unterlassen) hatte und daher dort keine „Tat“ begangen hatte, an die die Zuständigkeit italienischer Gerichte angeknüpft werden könnte. Dieser Einwand wurde von den „Ermellini“, wie die italienischen Kassationsrichter unter Bezugnahme auf den Pelzbesatz ihrer Roben auch genannt werden, mit der schlichten Begründung zurückgewiesen, dass ein Unterschied der „Gerichtspflichtigkeit“ der natürlichen Personen als direkte Täter und dem „dahinterstehenden“ Unternehmen (als juristische Person) nicht gerechtfertigt sei. Mit anderen Worten: Wer sich im Rahmen seiner freien unternehmerischen Tätigkeit durch Mitarbeiter in Italien betätigt, muss als Unternehmen selbst dann die italienischen Gesetze respektieren, wenn der Unternehmenssitz im Ausland liegt. Und wenn die Mitarbeiter in Italien eine Straftat begehen, dann muss sich im Zweifel auch das Unternehmen selbst vor italienischen Gerichten verantworten.
Diese Entscheidung reiht sich in eine Kette von ähnlichen Entscheidungen ein, in denen ausländische Unternehmen von italienischen Gerichten dafür sanktioniert wurden, dass Mitarbeiter in Italien Gesetze verletzt hatten, deren Verletzung durch das „Compliance -Gesetz 231/2001“ verhindert werden soll. Eine der „spektakulärsten“ aus dieser Kette betraf Thyssen Krupp.
Ausländisches Compliance-System muss italienischem Recht entsprechen
Für deutsche Unternehmen, die Geschäfte mit und in Italien machen, bedeutet dies in der Praxis: wenn (leitende) Mitarbeiter des deutschen Unternehmens in Italien Straftaten begehen, die zu den sog. „Katalog-Straftaten“ des Compliance-Gesetzes 231/2001 gehören und die sonstigen „Zurechnungskriterien“ erfüllt sind, dann entgehen diese Unternehmen nur dann einer eigenständigen Sanktion, wenn am Sitz des Unternehmens – außerhalb Italiens! – ein Compliance-System implementiert ist und auch tatsächlich „gelebt“ wird, das den Anforderungen des italienischen Gesetzes entspricht. Denn nur dann kann ein solches „Compliance System“ (auf Italienisch: „Modello Organizzativo ai sensi del D.L. 231/2001“) den Zurechnungszusammenhang zwischen Straftat des/der Mitarbeiter und Unternehmen und damit eine eigenständige Sanktion des letzteren (ggf.) vermeiden.
Es bleibt im Zuge der deutschen Diskussion um das „Unternehmens-Strafrecht“ dann nur abzuwarten, ob auch deutsche Gerichte im umgekehrten Fall ihre Zuständigkeit auch annehmen werden, wenn Mitarbeiter italienischer Unternehmen in Deutschland die Gesetze verletzen.