Kleine Änderung mit großer Wirkung: 37,5 Jahre für die Steuerfahndung

Der Gesetzgeber hat unter anderem durch einen Ein-Zeiler die Verjährungsfrist der besonders schweren Steuerhinterziehung von zehn auf 15 Jahre erhöht und verschafft so durch „kleine“ Änderungen der AO den Strafverfolgungsbehörden mehr Zeit.

Was ist passiert?

Der Gesetzgeber schafft durch einen kleinen Ein-Zeiler im Jahressteuergesetz 2020 (JStG 2020) eine gravierende Änderung. Durch Artikel 27 JStG 2020 (veröffentlicht am 28.12.2020 im BGBl. I 2020 S. 3096 ff.) wird das Wort zehn durch die Zahl 15 in § 376 Abs. 1 AO ersetzt.

Als weitere Maßnahme wurde § 73e Abs. 1 StGB um einen Satz 2 „Dies gilt nicht für Ansprüche, die durch Verjährung erloschen sind“ erweitert.

Bereits im Juni des Jahres 2020 hat der Gesetzgeber durch Art. 6 des zweiten Corona-Steuerhilfegesetzes den § 375a AO neu eingefügt. Dieser wurde allerdings durch das JStG 2020 wieder aufgehoben. Stattdessen wurde in § 376 AO ein Absatz 3 angefügt.

Diese „kleinen Änderungen“ ziehen für die Strafverfolgung und so auch für den Steuerpflichtigen gravierende rechtliche Folgen nach sich.

Folgen für die Verjährung einer Steuerhinterziehung

Hierzu zunächst ein kleiner Überblick zur strafrechtlichen Verjährung der Steuerhinterziehung.

Die strafrechtliche Verjährung einer Steuerhinterziehung beginnt, sobald die Tat beendet ist. Werden Veranlagungssteuern hinterzogen, ist dies regelmäßig der Zeitpunkt der Bekanntgabe des ersten unrichtigen Steuerbescheides.

Die strafrechtliche Verjährung wird, anders als die Festsetzungsverjährung im Steuerrecht, nicht durch Ablaufhemmung „pausiert“, vielmehr wird sie durch die in § 78c Abs. 1 StGB genannten Handlungen unterbrochen. Die Unterbrechung führt dazu, dass die Verjährung mit jeder Unterbrechungshandlung von Neuem beginnt.

Daneben ruht die Strafverfolgungsverjährung der besonders schweren Steuerhinterziehung für einen Zeitraum von bis zu fünf Jahren, sobald vor einem Landgericht die Hauptverhandlung eröffnet wurde (vgl. § 376 Abs. 1 HS. 2 AO i.V.m. § 78b Abs. 4 StGB).

Begrenzt wird die strafrechtliche Verfolgbarkeit durch die absolute Verjährung. Diese beträgt grundsätzlich das „Doppelte der gesetzlichen Verjährungsfrist“ (vgl. § 78c Abs. 3 S. 2 StGB).

Erhöhung der Verjährungsfrist auf 15 Jahre

Die Erhöhung der Verjährungsfrist bei der „besonders schweren“ Steuerhinterziehung auf 15 Jahre scheint zunächst trivial, steht im Jahressteuergesetz 2020 doch lediglich „In § 376 Absatz 1 wird das Wort ,zehn‘ durch die Angabe ,15‘ ersetzt“. Dieser kleine Ein-Zeiler hat aber weitreichende Folgen, gerade auch für die strafbefreiende Selbstanzeige.

Eine „besonders schwere“ Steuerhinterziehung liegt „in der Regel vor, wenn der Täter Steuern in großem Ausmaß verkürzt“. Die Rechtsprechung nimmt ein solches „großes Ausmaß“ bereits bei einer Steuerhinterziehung ab 50.000 € an.

Gerade im unternehmerischen Bereich, bei der Verkürzung von Ertragssteuern und der Umsatzsteuer werden solche Summen allerdings schnell erreicht.

Eine strafbefreiende Selbstanzeige erfordert zumindest Angaben zu allen strafrechtlich noch nicht verjährten Steuerstraftaten. Durch die Erhöhung der Verjährungsfrist von zehn auf 15 Jahre bedeutet dies für den Steuerpflichtigen, dass er 15 Jahre alte Rechnungen, Kontoauszüge, Bilanzen etc. vorliegen haben muss, um den Sachverhalt entsprechend aufzubereiten und sich notfalls auch entlasten zu können. Im Hinblick auf die Aufbewahrungspflicht von Buchhaltungsunterlagen von zehn Jahren dürfte dies den Meisten schwerfallen, wenn nicht gar unmöglich sein.

Verlängerung der absoluten Verjährung

Erschwerend kommt hinzu, dass die absolute Verjährungsfrist durch die Anfügung des Abs. 3 an § 376 AO entgegen der Grundregel auf das „Zweieinhalbfache der gesetzlichen Verjährungsfrist“ angehoben wird. Somit tritt absolute Verjährung bei der besonders schweren Steuerhinterziehung erst nach 37,5 Jahren ein.

Im Vergleich, die absolute Verjährung trat nach der alten Regelung bereits nach 20 Jahren (zweifache der gesetzlichen Verjährung von zehn Jahren) ein.

Dies hat zur Folge, dass die Strafverfolgungsbehörden weitere 17,5 Jahre Zeit für ihre Ermittlungen haben, ohne, dass für den Steuerpflichtigen Rechtssicherheit eintritt.

Die Verlängerung der Verjährungsfrist hat über § 171 Abs. 7 AO auch Auswirkungen auf die Festsetzungsfrist. Dieser bestimmt, dass in den Fällen des §169 Abs. 2 S. 2 AO die Festsetzungsfrist nicht endet, bevor die Verfolgung der Steuerstraftat […] verjährt ist. Die grundsätzliche Festsetzungsfrist bei der Steuerhinterziehung von zehn Jahren wird somit über § 171 Abs. 7 AO für die besonders schwere Steuerhinterziehung ebenfalls auf 15 Jahre verlängert.

§ 73e Abs. 1 S. 2. StGB – Folgen für die Einziehung:

§ 73 StGB bestimmt, dass bei Tätern und Teilnehmern einer Straftat die Einziehung rechtswidrig erlangter Taterträge angeordnet werden kann. Bei der Steuerhinterziehung bedeutet dies, die Möglichkeit der Einziehung des erlangten geldwerten Vorteils durch die Verkürzung der Steuern. Die Einziehung ist allerdings ausgeschlossen, soweit der Anspruch auf Erstattung der verkürzten Steuern erloschen ist (§ 73e Abs. I S. 1 StGB). Da die Verjährung bei Steuerstraftaten, anders als in der zivilrechtlichen Verjährung, nicht zu einer bloßen Einrede führt, sondern der Anspruch erlischt (vgl. § 47 AO), bedeutete dies bisher, dass nach Eintritt der Verjährung der geldwerte Vorteil nicht mehr eingezogen werden konnte. Durch die Einführung des Satz 2 gilt dies jetzt nicht mehr. § 73e Abs. 1 S. 2 StGB bestimmt: „Dies gilt nicht für Ansprüche, die durch Verjährung erloschen sind“. Das führt dazu, dass die Einziehung bei Steuerdelikten erst nach Ablauf der Verjährungsfrist von 30 Jahren nicht mehr zulässig ist (vgl. §76b Abs. 1 StGB). Somit können hinterzogene Steuern, auch bei der einfachen Steuerhinterziehung, noch nach 30 Jahren eingezogen werden, obwohl steuerrechtlich bereits die Festsetzungsverjährung eingetreten ist.

Die Neuregelung gilt nach Art 316j EGStGB i.d.F. des Art. 48 Jahressteuergesetz 2020 für Straftaten, die vor dem 29.12.2020 begangen worden sind,

  • wenn der Täter durch eine Steuerhinterziehung „im großen Ausmaß Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt hat oder
  • das Erlöschen eines Steueranspruchs durch Verjährung nach § 47 AO nach dem 01.07.2020 eingetreten ist, oder
  • das Erlöschen nach dem 29.12.2020 eingetreten ist.

Diese Regelung wirft verfassungsrechtliche Bedenken auf, könnte sie doch zumindest gegen das in Art. 103 Abs. 2 GG verankerte Rückwirkungsverbot verstoßen.

Gesetzgeberische Begründung

Warum also führt der Gesetzgeber Regelungen ein, die den Steuerpflichtigen einiges an Rechtssicherheit nimmt?

Die Finanzverwaltung begründete die Änderung im Rahmen ihrer Formulierungshilfe, BMF Schreiben v.  06.06.2020, für das Zweite Corona-Steuerhilfegesetz noch mit der Schwierigkeit der Aufarbeitung der Cum/Ex-Fälle. Den Strafverfolgungsbehörden soll durch die Änderungen ein angemessener Zeitraum zur Aufarbeitung ermöglicht werden.

Der Regierungsentwurf vom 12.06.2020 und der Gesetzesentwurf der Koalitionsfraktionen (BT-Drs. 19/20058 vom 16.06.2020) begründen die Gesetzesänderung nur noch abstrakt. Begründet werden die Neuerungen hier nur noch mit der allgemeinen Problematik langwieriger Ermittlungsverfahren. So seien diese Änderungen erforderlich, um die Strafverfolgungsbehörden in die Lage zu versetzen, den Sachverhalt in rechtlich komplexen und grenzüberschreitenden Steuergestaltungen aufzuarbeiten.

Beachtet man die ursprüngliche Intention, den Strafverfolgungsbehörden in den hoch komplexen Cum/Ex Fällen mehr Zeit für die Ermittlungen und Aufarbeitung des Sachverhalts zu ermöglichen, bedarf es einer deutlichen Erhöhung der Schadensgrenze, ab wann ein besonders großes Ausmaß i.S.d. § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO und damit eine besonders schwere Steuerhinterziehung vorliegt. Ein von der Rechtsprechung angenommener Hinterziehungsbetrag von 50.000 € erscheint hier doch ziemlich gering. Gerade im unternehmerischen Bereich ist diese Grenze schnell erreicht und rechtfertigt keinen besonders schweren Fall, soll sich dieser durch im Rahmen der Gesamtwürdigung vorgenommene Abwägung aller Zumessungstatsachen nach dem Gewicht von Unrecht und Schuld vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß vorkommenden Fälle so weit abheben, dass die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens geboten ist.