Quo Vadis Anfechtungsrecht – Neujustierung des § 133 InsO durch den BGH

Bedeutung des § 133 InsO

Aufgrund seiner zeitlichen Reichweite stellt § 133 InsO die wohl wichtigste Anfechtungsvorschrift des Insolvenzrechts dar. Grundsätzlich bis zu 4 Jahren vor Insolvenzantragstellung (in besonderen Konstellationen sogar bis 10 Jahren vor Antragstellung) sind hiernach Anfechtungen durch den Insolvenzverwalter denkbar.

Bisherige Gesetzesanwendung

Bislang konnte der Insolvenzverwalter über diese Anfechtungsvorschrift Rückzahlungen erlangen, wenn der Schuldner zum maßgeblichen Zeitpunkt zahlungsunfähig war und der Anfechtungsgegner dies – zumindest den Umständen nach – wusste.

Bereits in der Vergangenheit gab es Bedenken, ob dieser „Automatismus“ tatsächlich der Gesetzessystematik und dem Willen des Gesetzgebers entspricht. Dies galt insbesondere vor dem Hintergrund gleichlaufender Voraussetzungen für § 130 InsO (welcher allerdings nur innerhalb der letzten 3 Monate vor Insolvenzantragsstellung anwendbar ist) und Fällen sogenannter kongruenter Deckung innerhalb des deutlich längeren Anfechtungszeitraums des § 133 InsO.

Der Bundesgerichtshof hat eine aktuelle Entscheidung zum Anlass genommen, eine Neujustierung zur Ausgestaltung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 133 InsO vorzunehmen (BGH, Urteil vom 6.5.2021 – IX ZR 72/20).

Neuausrichtung durch den Bundesgerichtshof

Nunmehr ist es nicht mehr ausreichend, wenn der Schuldner im maßgeblichen Zeitpunkt erkanntermaßen zahlungsunfähig ist. Vielmehr fordert das Gericht einen in die Zukunft gerichteten Blickwinkel und betont die jeweiligen Umstände des Einzelfalls.

Für den erforderlichen Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners wird über die eigene Zahlungsunfähigkeit hinaus gefordert, dass der Schuldner wusste bzw. billigend in Kauf nahm, dass er auch künftig seine übrigen Gläubiger nicht vollständig befriedigen kann. Maßgeblich sind hierbei die ihm bekannten objektiven Umstände. Erforderlich ist also, dass die Zahlungsunfähigkeit im maßgeblichen Zeitpunkt einer später angefochtenen Rechtshandlung bereits ein derartiges Ausmaß angenommen hat, dass bei objektiver Betrachtung eine „Gesundung“ nicht mehr erwartet werden konnte. Auch wird es künftig nicht ausreichend sein, wenn der Anfechtungsgegner die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners (den Umständen nach) kannte. Vielmehr muss er wissen oder den Umständen nach wissen, dass der Schuldner seine übrigen Gläubiger auch künftig nicht wird befriedigen können.

Wesentliche Quelle zur Beurteilung des Vorliegens der subjektiven Anfechtungsvoraussetzungen werden hierbei eigene Erklärungen des Schuldners gegenüber dem Gläubiger/Anfechtungsgegner sein. Erklärt der Schuldner hierbei, eine fällige und nicht unbeträchtliche Verbindlichkeit binnen 3 Wochen nicht – nicht einmal ratenweise – begleichen zu können, so kann dem Grunde nach in aller Regel von einer Zahlungseinstellung des Schuldners im Zeitpunkt der Abgabe der Erklärung ausgegangen werden. Liegen derartig ausdrückliche Erklärungen des Schuldners gegenüber seinem Gläubiger nicht vor, können solche Erklärungen durch andere für eine Zahlungseinstellung sprechende Umstände ersetzt werden, welche ihrerseits ein der Erklärung entsprechendes Gewicht erreichen müssen. Allein wiederholte Zahlungsverzögerungen hingegen werden häufig nicht ausreichen.

Ausblick für die Praxis

Für die praktische Anwendung in der Zukunft bedeutet dies, dass der zentrale Aspekt für die Vorsatzanfechtung des § 133 InsO weiterhin die Liquiditätslage des Schuldners sein wird. Nach bisherigen Erfahrungen wird es dem Insolvenzverwalter häufig gelingen, anhand der Geschäftszahlen und Geschäftsunterlagen hinreichend darzulegen, dass bereits bei Vornahme der fraglichen Rechtshandlung die Unternehmenskrise soweit vertieft war, dass der Schuldner nicht davon ausgehen konnte, künftig seine Gläubiger vollständig zu befriedigen. Liegen in diese Richtung gehende Erklärungen des Schuldners gegenüber seinem Gläubiger/Anfechtungsgegner vor, wird man auch in Zukunft dessen Kenntnis vom Gläubigerbenachteiligung Vorsatz bejahen und den Anfechtungsanspruch durchsetzen können.

Künftig wird sich daher wohl eher der Begründungsaufwand des Insolvenzverwalters erhöhen, um den entsprechenden Nachweis des Vorliegens der subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen zu führen. In der Folge dürfte künftig auch die Beweiswürdigung der Gerichte an Bedeutung gewinnen. In welcher Weise dies durch die Gerichte in Zukunft umgesetzt wird, wird sich zeigen.

 

Matthias Ernst 
Rechtsanwalt
Partner

ernst@derra-ba.de