BGH vs. EuGH: Widerrufsrecht bei Darlehensverträgen aufgrund Kaskadenverweis?

Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 26.03.2020 (Az.: C 66/19) schlug ein wie eine Bombe. Darin entschied der EuGH, dass eine Klausel in der Widerrufsinformation, die sich in einer Vielzahl von abgeschlossenen Darlehensverträgen findet, gegen EU-Recht verstößt:

„Widerrufsrecht
Der Darlehensnehmer kann seine Vertragserklärung innerhalb von 14 Tagen ohne Angabe von Gründen in Textform (z.B. Brief, Fax, E-Mail) widerrufen. Die Frist beginnt nach Abschluss des Vertrags, aber erst, nachdem der Darlehnsnehmer alle Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB (z. B. Angaben zur Art des Darlehens, Angaben zum Nettodarlehensbetrag, Angabe zur Vertragslaufzeit) erhalten hat. …“


Die sog. „Pflichtangaben“ musste sich der Verbraucher jedoch mühsam durch eine Verweisungskette von nationalen Bestimmungen erschließen. Zunächst verweist ihn die Widerrufsbelehrung auf den § 492 Abs. 2 BGB, der wiederum auf Art. 247 §§ 6 bis 13 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB), um auch dort einen weiteren Verweis auf Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs zu finden.
Kurze Zeit sah es danach aus als habe der EuGH erneut eine Widerrufswelle bei Kreditverträgen ausgelöst. Denn bei einer unzureichenden Widerrufsinformation beginnt die 14-tägige Widerrufsfrist nicht zu laufen, so dass Verträge noch nach Jahre widerrufen werden können. Doch es kam anders:

1. Die Entscheidung des EuGH (Az.: C-66/19)

Aufgrund des in § 492 Abs. 2 BGB enthaltenen Verweises könne nach Ansicht des EuGH der Verbraucher auf der Grundlage des Vertrages weder erkennen noch überprüfen, ob der von ihm abgeschlossene Vertrag alle nach dieser Bestimmung erforderlichen Angaben enthalte, und erst recht nicht, ob die Widerrufsfrist für ihn zu laufen begonnen habe.
Daher urteilte der EuGH, dass dieser vom deutschen Gesetzgeber in der gesetzlichen Musterbelehrung integrierte Verweis auf die deutschen Rechtsvorschriften nicht dem Erfordernis der EU-Verbraucherkreditrichtlinie genügt, den Verbraucher in klarer und prägnanter Form über die Frist sowie die anderen Modalitäten der Ausübung des Widerrufsrechts zu informieren. Es sei mit europäischem Recht nicht vereinbar, dass ein Kreditvertrag hinsichtlich der Pflichtangaben, deren Mitteilung an den Verbraucher für den Beginn der Widerrufsfrist maßgeblich ist, auf eine nationale Vorschrift verweise, die selbst auf weitere Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedsstaats verweist (sog. „Kaskadenverweis“).
Aus Sicht des EuGH müsse es dem Darlehensnehmer möglich sein, allein aus der Widerrufsbelehrung heraus zu bestimmen, ob die Widerrufsfrist zu laufen begonnen habe. Dem werde nicht genügt, wenn der Verbraucher einer langen Kette von Verweisen folgen müsse.

2. Der BGH kippt den EuGH-Widerrufsjoker

Nur fünf Tage später, am 31. März 2020, stellte sich der BGH in zwei Beschlüssen gegen das Urteil des EuGH und stellte klar, dass er an seiner bisherigen Rechtsprechung festhalte.
Der BGH hob in seinem Beschluss vom 31.03.2020 (Az.: XI ZR 581/18) hervor, dass die Entscheidung des EuGH für Immobiliar-Verbraucherdarlehensverträge nicht einschlägig sei, da die dem EuGH zugrunde liegende Verbraucherkreditrichtlinie auf Immobiliar-Verbraucherdarlehensverträge keine Anwendung finde. Wie nationale Vorschriften auszulegen seien (bezogen auf den Inhalt der gesetzlichen Muster-Widerrufsbelehrung in Deutschland), die nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fielen, und ob ihre Auslegung durch das vorlegende Gericht richtig sei, falle, so der BGH, in die ausschließliche Zuständigkeit der nationalen Gerichte.
In einem weiteren Beschluss vom 31.03.2020 (Az.: XI ZR 198/19) macht der BGH deutlich, dass die Entscheidung des EuGH auch auf Allgemein-Verbraucherdarlehensverträge nicht anwendbar sei. Der BGH führt aus, dass sich Darlehensgeber bei Verwendung des gesetzlichen Musters zur Widerrufsinformation auf die Gesetzlichkeitsfiktion berufen können. Diese erlaube den Darlehensgebern, sich auf die Richtigkeit der von ihnen verwendeten Muster-Widerrufsbelehrung zu berufen, selbst wenn die Rechtsprechung einzelne Passagen in der Zukunft für unzulässig erklären sollte. Verwendet der Darlehensgeber dieses gesetzliche Muster, entspricht die Widerrufsbelehrung dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers und eine Auslegung gegen den eindeutigen Willen des Gesetzgebers komme somit nicht in Betracht.
Die Gesetzlichkeitsfiktion greift jedoch dann nicht, wenn Darlehensgeber vom gesetzlichen Mustertext inhaltlich oder der Darstellung nach zum Nachteil der Verbraucher abgewichen sind. Solche Abweichungen können ihre Darlehensverträge gegebenenfalls widerrufbar machen.
Somit besteht jedenfalls für Darlehensgeber, die in Widerrufsbelehrungen zwar den Kaskadenverweis auf § 492 Abs. 2 BGB, jedoch im Übrigen nicht die wortgetreue gesetzliche Musterwiderrufsinformation verwendet haben, ein hohes Risiko, dass deren Widerrufsbelehrung unwirksam ist und sich Verbraucher darauf berufen werden.

3. Fazit

Lassen Sie sich durch pauschale Veröffentlichungen nicht zu der falschen Annahme verleiten, dass aufgrund des EuGH-Urteils vom 26.03.2020 nunmehr „jeder Kreditvertrag widerrufbar“ sei. Es kann sich durchaus lohnen einen Darlehensvertrag im Hinblick auf einen möglichen Widerruf zu überprüfen, dies muss jedoch differenziert erfolgen.
Wie die deutschen Gerichte mit diesen entgegengesetzten Entscheidungen des BGH und EuGH umgehen werden, wird sich erst in möglichen Gerichtsverfahren zeigen. Jedenfalls der deutsche Gesetzgeber muss die EuGH-Entscheidung als Aufforderung verstehen, die gesetzliche Musterwiderrufsinformation zu korrigieren.  

Rechtsanwältin Jehona Krasniqi

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