Neuordnung der Geschäftsführerhaftung im Insolvenzfall

Bislang war die Haftung der Geschäftsleiter von Unternehmen (für welche aufgrund der Rechtsform eine Insolvenzantragspflicht besteht), für Zahlungen nach Eintritt der materiellen Insolvenz für die einzelnen Rechtsformen in Spezialgesetzen geregelt.

Danach war von einer Haftung für Zahlungen nach Insolvenzreife auszugehen, sofern die Zahlungen nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar sind. Was darunter in praktischer Hinsicht zu verstehen ist, wurde in den jeweiligen Haftungsvorschriften nicht weiter ausgeführt und war Gegenstand diverser Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs.

Neufassung der Haftungsvorschrift

Im Zuge zahlreicher Änderungen im Insolvenzrecht wurde nunmehr mit Wirkung ab 01.01.2021 die Haftung von Geschäftsleitern einheitlich innerhalb der Insolvenzordnung unter § 15b InsO niedergelegt.

Der Ausgangspunkt ist allerdings derselbe. Es gilt der Grundsatz, dass Geschäftsleiter nach dem Eintritt der Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit keine Zahlungen aus dem Gesellschaftsvermögen mehr leisten dürfen. Hiervon ausgenommen sind wiederum Zahlungen, die mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar sind.

Allerdings setzt die gesetzliche Vorschrift im Vergleich zur bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs einen großzügigeren Haftungsmaßstab an, solange sich der Geschäftsleiter rechtzeitig zu einer Insolvenzantragstellung entschließt. Gleichzeitig ermöglicht die Neufassung der Haftungsvorschrift eine risikofreiere Fortführung des Geschäftsbetriebs bei Einhaltung der Insolvenzantragspflichten.

Zahlungen innerhalb der Insolvenzantragsfrist

Nach § 15a InsO ist bei Zahlungsunfähigkeit und/oder Überschuldung ohne schuldhaftes Zögern einen Insolvenzantrag zu stellen. Im Falle der Zahlungsunfähigkeit hat dies spätestens innerhalb von drei Wochen; bei Überschuldung – dies ist ebenfalls neu – innerhalb von sechs Wochen zu erfolgen.

Nimmt der Geschäftsleiter innerhalb dieser Fristen noch Zahlungen vor und stellt bis zum Ablauf der Frist einen Insolvenzantrag, so sind Zahlungen dann privilegiert (und damit nicht einer Haftung unterworfen), wenn sie im ordnungsgemäßen Geschäftsgang erfolgten, insbesondere der Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs dienten.

Zahlungen außerhalb der Insolvenzantragsfrist

Stellt der Geschäftsleiter nicht rechtzeitig im Sinne des § 15a InsO einen Insolvenzantrag, macht er sich für geleistete Zahlungen persönlich haftbar. Das Gesetz stellt hierzu eine entsprechende Vermutung auf, wonach derartige Zahlungen in der Regel nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar sind.

Zahlungen nach Insolvenzantragstellung

Für Zahlungen, welche nach Insolvenzantragstellung bis zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung vorgenommen werden, gilt die gesetzliche Vermutung, dass solche nicht haftungsrelevant sind, so weit diese mit der Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters vorgenommen wurden.

Haftungsumfang

Im Falle einer Haftung sind die Geschäftsleiter im Grundsatz zur Erstattung dieser Zahlungen verpflichtet. Das Gesetz räumt den Verpflichteten allerdings die Möglichkeit ein, den Nachweis zu führen, dass ein geringerer Schaden entstanden ist. Welche Anforderungen hierbei an den Geschäftsleiter zur Darlegung eines geringeren Gesamtschadens gestellt werden, lässt sich derzeit noch nicht beurteilen.

Persönliche Haftung für Sozialversicherungsbeiträge und Steuern

Für die Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen und Steuern stellt sich die Frage der persönlichen Haftung des Geschäftsleiters gegenüber dem Finanzamt (§§ 69, 34 AO) und den Sozialversicherungsträgern (§ 266a StGB) im Spannungsverhältnis zur Haftung des Geschäftsführers gegenüber dem Insolvenzverwalter nach Insolvenzeröffnung.

Nach der bisherigen Rechtslage wurde diese Pflichtenkollision so aufgelöst, dass Zahlungen des Geschäftsleiters an das Finanzamt bzw. die Krankenkassen zur Vermeidung einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit als privilegiert und damit nicht haftungsrelevant gegenüber dem Insolvenzverwalter angesehen wurden.

Hinsichtlich der steuerlichen Verpflichtungen unterscheidet die neue Gesetzeslage danach, ob der Geschäftsleiter rechtzeitig einen Insolvenzantrag gestellt hat oder nicht. Bei fristgemäßer Insolvenzantragstellung macht er sich gegenüber dem Finanzamt nicht persönlich haftbar, wenn er die Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nicht mehr erfüllt. Bei verspäteter Insolvenzantragstellung gilt dies nur für die Steuerforderungen, die nach Anordnung einer vorläufigen Insolvenz fällig werden.

Zur ebenso praxisrelevanten Haftungsproblematik wegen der Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen findet sich keine ausdrückliche gesetzliche Regelung. Im Ergebnis wird hierzu jedoch wohl eine gleichartige Wertung wie bei den Steuern vorzunehmen sein. Bei rechtzeitiger Insolvenzantragstellung und Nichtzahlung der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung dürfte daher ebenfalls eine persönliche Haftung gegenüber den Krankenkassen ausscheiden.

Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass immer dann, wenn der Geschäftsleiter nicht rechtzeitig einen Insolvenzantrag stellt, aber noch Zahlungen an Krankenkassen und das Finanzamt vornimmt, keine privilegierten Zahlungen im Sinne des § 15b InsO vorliegen und er sich insoweit einer Haftung gegenüber dem Insolvenzverwalter aussetzt.

Matthias Ernst
Rechtsanwalt
ernst@derra-ba.de