Liberalisierung der Arbeitsmigration zu Windenergieanlagen auf See und Offshore-Anbindungsleitungen

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Die fortschreitende Energiewende hat auch das Arbeitsmigrationsrecht erfasst. Für Beschäftigungen im deutschen Küstenmeer wurde eine neue Aufenthaltserlaubnis geschaffen, um Tätigkeiten zur Errichtung und Instandsetzung von Windenergieanlagen auf See und Offshore-Anbindungsleitungen durchzuführen, einschließlich der Be- und Entladearbeiten im Hafen und der sonstigen Tätigkeiten von übrigen Mitgliedern der Besatzung der dazu eingesetzten Schiffe.

Bundestag und Bundesrat haben am 07./08.07.2022 den dafür neu einzuführenden § 24b Beschäftigungsverordnung verabschiedet (als Art. 2 des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Windenergie-auf-See-Gesetzes und anderer Vorschriften, vgl. BT-Drs 20/1634, 52, 111:  https://dserver.bundestag.de/btd/20/016/2001634.pdf). Die Regelung trat am 29.07.2022 in Kraft (BGBl. I S. 1325, vgl. Art. 12).

Neben Seeleuten sollen davon auch Seefunker, Schiffselektroniker, medizinisches Personal, Ingenieure, Geologen, Geophysiker, Techniker, Monteure, Schweißer, Vermesser, Kampfmittelräumspezialkräfte, Personal zum Steuern von benötigten Geräten (etwa Unterwasserroboter zum Erheben der benötigten Messdaten) sowie Taucher erfasst werden.

Zustimmungsfreiheit bei einer zeitlichen Begrenzung der Tätigkeit von bis zu zwei Jahren

Die auf höchstens 24 Monate, d.h. zwei Jahre begrenzte Aufenthaltserlaubnis – ggf. mit vorherigem nationalen Visum zur Einreise – wird nach der Scharniernorm § 19c Abs. 1 AufenthG in Verbindung mit dem neuen § 24b BeschV erteilt. Die Begrenzung auf zwei Jahre wird damit begründet, dass die Errichtungsprojekte und Instandsetzungen im Küstenmeer wie alle Bauprojekte nicht auf Dauer angelegt sind.

Eine Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit ist für diese Aufenthaltstitel nicht erforderlich, d.h. es findet keine behördliche Prüfung statt, ob die ausländischen Arbeitskräfte ggf. zu ungünstigeren Arbeitsbedingungen als vergleichbare inländische Arbeitskräfte beschäftigt werden (§ 39 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG) oder ob vorrangige Arbeitskräfte auf dem deutschen bzw. europäischen Arbeitsmarkt zur Verfügung stünden (sog. Vorrangprüfung, § 39 Abs. 3 Nr. 3 AufenthG).

Die Aufenthaltserlaubnis nach § 19c Abs. 1 AufenthG wird „unabhängig von einer Qualifikation als Fachkraft“ erteilt; d.h. die Qualifikation der eingesetzten Arbeitskraft muss nicht gem. § 18 Abs. 3 AufenthG auf Gleichwertigkeit mit einer deutschen Berufsausbildung bzw. auf Vergleichbarkeit mit einem deutschen Hochschulabschluss geprüft werden. Vielmehr hat das mit dem Windparkprojekt betraute Unternehmen – auf nachvollziehbare Weise – zu entscheiden, ob die Arbeitskraft für eine der in § 24b S. 1 BeschV genannten Tätigkeiten geeignet ist. Dafür kann ggf. auch die vorherige berufliche Erfahrung ausschlaggebend sein.

Die Anwendung von § 9 BeschV wurde gesperrt, damit eine zweijährige versicherungspflichtige Beschäftigung nach § 24b BeschV nicht ansatzlos zu einem weiteren zustimmungsfreien Aufenthaltstitel führen kann. Vielmehr sollen die auf eine längere Dauer angelegten Beschäftigungen von Drittstaatsangehörigen im deutschen Küstenmeer den sonstigen arbeitsmigrationsrechtlichen Bestimmungen nach den §§ 18 ff. AufenthG unterfallen.

Nichtbeschäftigungsfiktion bei kurzfristigen Offshore-Einsätzen

Wenn derartige Arbeitseinsätze im deutschen Küstenmeer hingegen nur bis zu 90 Tage innerhalb von 12 Monaten ausgeübt werden, unterfallen sie der sog. Nichtbeschäftigungsfiktion nach § 30 Nr. 2 BeschV. Demnach gelten diese kurzfristigen Arbeitseinsätze qua definitionem nicht als Beschäftigung im Sinne des Aufenthaltsgesetzes und bedürfen mithin keines Aufenthaltstitels, der eine solche Beschäftigung erlaubt.

Der Aufenthalt als solcher muss in diesen Fällen freilich weiterhin erlaubt sein. Bei den sog. Positivstaatlern, d.h. Personen, denen die kurzfristige Einreise in den Schengen-Raum bis zu 90 Tage innerhalb von 180 Tagen ohnehin nach Art. 4 EU-Visa-Verordnung visumsfrei ermöglicht wird, wäre dann überhaupt kein Aufenthaltstitel für den Arbeitseinsatz erforderlich (s.a. § 17 Abs. 2 S. 1 AufenthV).

Da die zeitlichen Grenzen der benannten Nichtbeschäftigungsfiktion im deutschen Recht mit bis zu 90 Tagen innerhalb von 12 Monaten deutlich enger gezogen sind als der nach EU-Visa-Verordnung zulässige Aufenthalt von bis zu 90 Tagen innerhalb von 180 Tagen, sollte zwischen den Beschäftigungszeiten und sonstigen Aufenthaltszeiten unterschieden werden. Mit dieser Unterscheidung kann vermieden werden, dass die kurzfristig eingesetzten Arbeitskräfte in den beschäftigungsfreien Zeiten – etwa am Wochenende oder in der Urlaubszeit – ggf. Deutschland verlassen müssten, nur um die zeitliche Grenze der Nichtbeschäftigungsfiktion einzuhalten. Aus Compliance-Gründen und zur Vermeidung von Missbrauchsvorwürfen empfehlen sich dazu klare vertragliche Regelungen und eine nachvollziehbare Dokumentation der tatsächlichen Arbeitstage (dazu die im Erscheinen befindliche Kommentierung Klaus/Wittmann-Dippe, AufenthV, C.H.BECK, 1. Auflage 2022, § 17 Rn. 26 und § 17a Rn. 7: www.beck-shop.de/klaus-wittmann-aufenthaltsverordnung/product/32107897).

Druck aus der neueren Rechtsprechung

Die Neuregelungen in den §§ 24b, 30 Nr. 2 BeschV begegnen zugleich einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts von April 2021, wonach sich die Besatzungsmitglieder bei einem Arbeitseinsatz auf einem fremdflaggigen Offshore-Supply-Schiff im deutschen Küstenmeer nicht auf eine fehlende Einreise nach § 13 Abs. 2 AufenthG i.V.m. § 26 Abs. 1 AufenthV, § 30 Nr. 4 BeschV berufen können, sondern grundsätzlich einen Aufenthaltstitel benötigen, der zur Erwerbstätigkeit berechtigt (BVerwG, Urt. v. 27.4.2021 – 1 C 13/19, Rn. 43 ff.; NVwZ-RR 2021, 952, www.bverwg.de/270421U1C13.19.0).

Andreas Dippe
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