Strengere Anforderungen an Massenentlassungsanzeige

Will ein Arbeitgeber einen größeren Teil seiner Beschäftigten entlassen, so hängt die Wirksamkeit der Kündigungen unter anderem davon ab, ob der Arbeitgeber vor Ausspruch der Kündigungen bei der zuständigen Agentur für Arbeit eine wirksame Massenentlassungsanzeige gem. § 17 Abs. 3 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) erstattet hat. Eine unwirksame Massenentlassungsanzeige führt zur Unwirksamkeit sämtlicher im Zuge der Gesamtmaßnahme ausgesprochenen Kündigungen. Die Brisanz des Themas Massenentlassungsanzeige wurde zuletzt im Zusammenhang mit Kündigungen bekannt, die der Insolvenzverwalter der Fluggesellschaft Air Berlin ausgesprochen hatte. Hier kam das Landesarbeitsgericht Düsseldorf zu dem Ergebnis, dass eine größere Zahl an Kündigungen unwirksam war, weil die Massenentlassungsanzeige bei einer örtlich nicht zuständigen Agentur für Arbeit erstattet worden war.

LAG Hessen verschärft Anforderungen an Massenentlassungsanzeige

In einem viel beachteten neuen Urteil hat nun das Landesarbeitsgericht Hessen die Anforderungen an eine wirksame Massenentlassungsanzeige weiter verschärft: § 17 Abs. 3 KSchG unterscheidet bei den Angaben in einer Massenentlassungsanzeige nach sog. Pflichtangaben („Muss“-Angaben gem. § 17 Abs. 3 S. 4 KSchG) und fakultativ zu erstattenden Angaben (sog. „Soll“-Angaben gem. § 17 Abs. 3 S. 5 KSchG). Bisher herrschte in Rechtsprechung, Literatur und Praxis der Bundesagentur für Arbeit Einigkeit darüber, dass die Angaben, die der sog. „Soll“-Bestimmung unterfielen (Angaben über Geschlecht, Alter, Beruf und Staatsangehörigkeit der zu entlassenden Arbeitnehmer), nicht zwingend waren mit der Folge, dass die Nichtangabe der genannten Daten nicht zur Unwirksamkeit der Massenentlassungsanzeige und damit der Kündigung führen konnte. Man ging bisher weitgehend einhellig davon aus, dass Angaben zu Namen des Arbeitgebers, Sitz und Art des Betriebes sowie zu den Gründen für die geplanten Entlassungen sowie zur Anzahl und zu den Berufsgruppen der zu entlassenden und in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer ausreichend waren.

Unwirksamkeit der Massenentlassungsanzeige bei fehlenden „Soll“-Angaben

Das Landesarbeitsgericht (LAG) Hessen hat nun entschieden, dass eine Massenentlassungsanzeige, die keine oder fehlerhafte Angaben gem. § 17 Abs. 3 S. 5 KSchG (sog. „Soll“-Angaben) enthält, zur Unwirksamkeit der insoweit ausgesprochenen Kündigungen führt. Das LAG begründet seine Entscheidung damit, dass die sog. Massenentlassungsrichtlinie der Europäischen Union (MERL) die Mitteilung „aller zweckdienlichen Angaben“ in der Massenentlassungsanzeige verlange. Hierzu gehörten auch die sog. „Soll“-Angaben gem. § 17 Abs. 3 S. 5 KSchG. Aus diesem Grunde sei § 17 Abs. 3 S. 5 KSchG „richtlinienkonform“ auszulegen mit der Folge, dass aus der „Soll“-Vorschrift nach Ansicht des Landesarbeitsgerichtes eine „Muss“-Vorschrift wird.

Es bleibt abzuwarten, ob weitere Landesarbeitsgerichte oder das Bundesarbeitsgericht die Rechtsansicht des LAG Hessen teilen. Arbeitgebern ist jedoch im Moment dringend zu empfehlen, in einer Massenentlassungsanzeige sämtliche Angaben gem. § 17 Abs. 3 KSchG zu machen, auch die bisher möglicherweise vernachlässigten sog. „Soll“-Angaben, also Angaben zu den von der Kündigung betroffenen Arbeitnehmern.

 

Stefan Eßer
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht

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