Strafrechtliche Anforderungen an horizontale und vertikale Arbeitsteilung in Unternehmen

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Das Urteil des BGH in Sachen Kölner Stadtarchiv und seine Bedeutung für die strafrechtliche Haftung in Unternehmen

Arbeitsteilung ist eine im Wirtschaftsleben unumgängliche Notwendigkeit, sei es innerhalb eines Unternehmens, sei es im Rahmen der Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen Unternehmen, etwa bei größeren Bauprojekten. Kommt es in diesem Zusammenhang zu Straftaten, ergeben sich angesichts der im unternehmerischen Alltag unumgänglichen Aufgabenübertragung „von oben nach unten“ (sog. vertikale Delegation) oder der sog. horizontalen Arbeitsteilung auf gleicher hierarchischer Ebene nicht selten Probleme mit Blick auf die Verantwortlichkeit. Es stellt sich die Frage, ob neben dem unmittelbar Handelnden eine Strafbarkeit des übergeordneten Mitarbeiters oder des auf gleicher Ebene agierenden, infolge der vereinbarten Arbeitsteilung aber nicht konkret Handelnden in Betracht kommt.

Der Bundesgerichtshof hat in seiner jüngst veröffentlichten Entscheidung im vielbeachteten Prozess um den Einsturz des Kölner Stadtarchivs (BGH 2 StR 418/19) weitere Maßstäbe zu den Kontrollpflichten bei vertikaler Aufgabendelegation auf einer Großbaustelle und zur Reichweite des sog. Vertrauensgrundsatzes bei horizontal arbeitsteiligem Handeln zwischen mehreren Personen herausgearbeitet, deren Berücksichtigung im Rahmen der Aufarbeitung strafrechtlicher Sachverhalte im Unternehmen und bei der präventiven Implementierung eines strafrechtlichen Compliance-Systems zu empfehlen ist.

Die Entscheidung des BGH in Sachen Kölner Stadtarchiv

Dem in erster Instanz am LG Köln geführten Verfahren lag der Einsturz des Historischen Archivs der Stadt Köln sowie zweier Wohngebäude im Jahr 2009, bei dem zwei Menschen zu Tode kamen, zugrunde. Ursache für die Todesfälle sei die Beschädigung einer rund 27 Meter tiefen Baugrube gewesen. Deren seitliche Schlitzwand, die das Eindringen von Grundwasser verhindern sollte, sei nicht fachgerecht erstellt worden. Zwei angeklagten verantwortlichen Bauleitern legte die Staatsanwaltschaft zur Last, markanten Hinweisen, die auf Ausführungsmängel bei der Errichtung einer Baugrubenumschließung hingedeutet hätten, nicht nachgegangen zu sein und diese in der Folge nicht abgestellt und dadurch den Tod zweier Menschen fahrlässig herbeigeführt zu haben. Das LG hat die Angeklagten zunächst vom Vorwurf der tateinheitlich begangenen zweifachen fahrlässigen Tötung durch Unterlassen in Tateinheit mit Baugefährdung freigesprochen. Der BGH wiederum hob diese Entscheidung mit Urteil vom 13.10.2021 auf, weil das LG Köln mit Blick auf weitere in Betracht kommende Sorgfaltspflichtverletzungen den im Urteil festgestellten Sachverhalt nicht ausgeschöpft habe.

Der BGH weist zunächst darauf hin, dass eine Aufgabenverteilung bzw. –delegation nicht prinzipiell dazu führt, dass hierdurch der ursprünglich Verantwortliche gänzlich von seinen Pflichten frei wird. Bei der Bestimmung der jeweiligen Pflichten bei arbeitsteiligem Handeln wird gemeinhin zwischen einer horizontalen Verteilung von Aufgaben durch Bildung verschiedener Zuständigkeitsbereiche sowie in vertikaler Richtung durch Bildung von Hierarchien im Wege einer fachlichen Über- und Unterordnung unterschieden. Beiden Arten der Arbeitsteilung ist gemein, dass eine Verpflichtung zu einer näheren Überwachung und gegebenenfalls einem Einschreiten jedenfalls dann besteht, wenn Zweifel an der Zuverlässigkeit eines Beteiligten aufkommen.

Horizontale Arbeitsteilung

Im Zusammenhang mit der horizontalen Arbeitsteilung hält der BGH weiter am sog. Vertrauensgrundsatz fest, wonach grundsätzlich auf die Zuverlässigkeit der anderen Beteiligten vertraut werden darf. Überwachungspflichten der Beteiligten untereinander bestehen nicht, da sie dem Sinn der Arbeitsteilung in einem gleichberechtigten Zusammenwirken entgegenlaufen. Eine Einschränkung dieses Grundsatzes nimmt der BGH insofern vor, als das Vertrauen in die Zuverlässigkeit eines Dritten eigenes sorgfaltsgerechtes Verhalten voraussetzt, das dann nicht vorliegt, wenn einem Mitwirkenden für das arbeitsteilige Handeln maßgebliche Informationen vorenthalten werden. Zudem besteht bei arbeitsteiligem Handeln auf horizontaler Ebene eine Verpflichtung zu wechselseitiger Koordination und Information. Kommt es nicht von vornherein zu einer wechselseitigen Information bzw. Koordination, sind alle Beteiligten verpflichtet, sich von der Qualität von Vorleistungen eines Mitwirkenden, die für die gefahrlose Umsetzung der eigenen Arbeitsleistung von Bedeutung sind – jedenfalls bei Vorliegen erkennbarer Unzulänglichkeiten – im Rahmen des Zumutbaren zu vergewissern.

Vertikale Arbeitsteilung

Im Hinblick auf vertikale Arbeitsteilung weist der BGH darauf hin, dass neben der Pflicht zu einer sorgfältigen Auswahl und Instruktion zur Erfüllung der übertragenen Aufgabe allgemeine – jedenfalls stichprobenartige – Überwachungspflichten bestehen, die umso strenger sind, je höher die drohende Gefahr ist.  Auch hängt der Umfang der Kontrollpflichten bei einer vertikalen Arbeitsteilung im Einzelfall davon ab, inwieweit dem Delegaten bei der Ausführung seiner Tätigkeit Eigenverantwortlichkeit zukommt. Ungeachtet der Frage, ob insbesondere ein Arbeitnehmer bzw. ein Arbeiter eines Unternehmens selbst einstandspflichtig sein kann, verbleiben umso mehr Pflichten bei dem Delegierenden, desto weniger demjenigen, dem eine Aufgabe übertragen worden ist, Handlungsspielraum zukommt.

Übertragbarkeit auf Unternehmen

Die vom BGH in der hier besprochenen Entscheidung aufgestellten Grundsätze zur Kontrollpflicht bei Arbeitsteilung gelten nicht nur für Großbaustellen, sondern lassen sich ganz allgemein auf arbeitsteilig organisierte Abläufe in und zwischen Unternehmen jeder Größe übertragen. Insofern zeigt die Entscheidung auch, dass die strafrechtliche Rechtsprechung durchaus strenge Anforderungen an die Verlagerung strafrechtlicher Verantwortung durch Arbeitsteilung stellt. Zu empfehlen ist daher die Implementierung eines präventiven strafrechtlichen Compliance-Systems, um das Risiko strafrechtlicher Verfolgung von Unternehmensangehörigen zu vermindern.

Rechtsanwalt Dr. Tobias Wickel 
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