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Dürfen Gerichte den Medien Unterlagen aus einem Verfahren zur Verfügung stellen, die persönliche Daten enthalten? Oder kann hier die zuständige Aufsichtsbehörde eingreifen? Der EuGH hat in einer neuen Entscheidung ein solches richterliches Handeln der Kontrollbefugnis der Aufsichtsbehörden entzogen.
Die Entscheidung des EuGH zu Justiz und Medien im Einzelnen
In seinem Urteil vom 24. März 2022 (Rechtssache C-245/20) hat der EuGH entschieden, dass die Übermittlung von Informationen und die Bereitstellung von Unterlagen aus einem Gerichtsverfahren für Journalisten unter den Begriff der „justiziellen Tätigkeit“ im Sinne von Art. 55 Abs. 3 Verordnung (EU) 2016/679 (DSGVO) fallen, wie jede Tätigkeit, die mit dem Erlass einer gerichtlichen Entscheidung verbunden ist.
Entscheidungen dieser Art können nicht von anderen Behörden kontrolliert werden, da eine Überprüfung durch externe Stellen die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz beeinträchtigen könnte.
Das Vorlagefrage betraf die Auslegung von Art. 55 Abs. 3 der DSGVO, in dem es heißt: „Die Aufsichtsbehörden sind nicht zuständig für die Aufsicht über die von Gerichten im Rahmen ihrer justiziellen Tätigkeit vorgenommenen Verarbeitungen“. Dieser Antrag war vom niederländischen Zentralgericht gestellt worden.
EuGH: Völlige Autonomie bei Ausübung der richterlichen Funktionen
In seiner Entscheidung geht der Gerichtshof von folgender Prämisse aus: Art. 55 Abs. 3 DSGVO schließt die Überwachung der Datenverarbeitung durch Justizbehörden bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben aus und soll die Unabhängigkeit der Justiz schützen. Der Gerichtshof stellt ausdrücklich fest: „Die Wahrung der Unabhängigkeit der Justiz setzt nämlich im Allgemeinen voraus, dass die richterlichen Funktionen in völliger Autonomie ausgeübt werden, ohne dass die Gerichte mit irgendeiner Stelle hierarchisch verbunden oder ihr untergeordnet sind und ohne dass sie von irgendeiner Stelle Anordnungen oder Anweisungen erhalten.“ Auf diese Weise seien sie vor Eingriffen oder Druck von außen geschützt sind, die die Unabhängigkeit des Urteils ihrer Mitglieder gefährden und deren Entscheidungen beeinflussen könnten.
Die Bezugnahme in Art. 55 Abs. 3 der DSGVO auf Datenverarbeitungsvorgänge, die von Justizbehörden in Ausübung ihrer Aufgaben durchgeführt werden, ist nach Ansicht des Gerichtshofs so zu verstehen, dass „die Verarbeitung personenbezogener Daten, die von Gerichten im Rahmen ihrer Kommunikationspolitik zu Rechtssachen, über die sie zu entscheiden haben, vorgenommen wird, wie z. B. Journalisten vorübergehend Unterlagen aus einer Gerichtsakte bereitzustellen, damit sie die mediale Berichterstattung hierüber gewährleisten können, nicht unter die Zuständigkeit der Aufsichtsbehörde gemäß Art. 55 Abs. 3 der Verordnung fällt […].“
Fazit
Diese Entscheidung bestätigt einmal mehr, dass die Unabhängigkeit der Justiz ein überragendes Gut ist, das aber (und hier dürfte vielfach die Kritik ansetzen!) das ebenfalls gesetzlich geschützte Recht auf Vertraulichkeit und Schutz der Privatsphäre des Bürgers beschränkt, dem daher – praktisch gesehen – ein niedrigerer Rang zukommt.
Avvocato Mario Dusi
dusi@derra.it
Rechtsanwältin Dr. Stefanie Lebek
lebek@derra.it