Neues vom EuGH: Insolvenzanfechtung über die Grenze bzw. Grenzen der Insolvenzanfechtung

Auch in einem in Deutschland eröffneten Insolvenzverfahren kann sich die Insolvenzanfechtung nach ausländischem Recht richten. Und zwar dann, wenn die anzufechtende Handlung (meist Zahlung) auf einem Vertrag beruht, der ausländischem Recht unterliegt.

Nach der Europäischen Insolvenzverordnung“ (EuInsVO) gilt für das Insolvenzverfahren und seine Wirkungen zwar grundsätzlich das Insolvenzrecht des Staates, in dem das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, also in Deutschland deutsches Insolvenzrecht.

Allerdings sieht die Verordnung verschiedene Ausnahmen von diesem Grundsatz vor. So gilt zum Beispiel für die Wirkungen des Insolvenzverfahrens auf ein Arbeitsverhältnis (beispielsweise mit einem im Ausland beschäftigten Mitarbeiter) nicht etwa deutsches Recht, sondern ausschließlich das Recht des Mitgliedstaats, das auf den Arbeitsvertrag anzuwenden ist. Hat das insolvente deutsche Unternehmen Mitarbeiter in Italien, muss der deutsche Insolvenzverwalter italienisches Arbeitsrecht berücksichtigen.

Eine weitere – ganz ähnlich gelagerte – Ausnahme sieht die EuInsVO in Art. 16 (bzw. Art. 13 EuInsVO a.F.) für den Fall der Insolvenzanfechtung vor. Der Schuldner kann sich damit verteidigen, dass auf die Handlung – also im Zweifel die Zahlung des insolventen Unternehmens an den Gläubiger– ausländisches Recht Anwendung findet und dieses Recht im konkreten Fall keine Anfechtung (mehr) vorsieht. Der EuGH hat nun klargestellt, dass diese Ausnahme auch für Erfüllungshandlungen, d.h. auch für Zahlungen, durch Dritte gilt.

Besondere Fallkonstellation beim EuGH 

In dem vom EuGH entschiedenen Fall bestand ein Vertrag zwischen einer deutschen und einer niederländischen Gesellschaft. Der Vertrag unterlag niederländischem Recht. Die nach dem Vertrag geschuldete Zahlung wurde allerdings nicht von der deutschen Vertragspartnerin, sondern von einer anderen deutschen Gesellschaft ausgeführt. Diese wurde später insolvent und der Insolvenzverwalter focht die Zahlung an die niederländische Gesellschaft an.

In dieser besonderen Konstellation hat der EuGH entschieden: Auch die Zahlung durch einen Dritten stellt eine Erfüllungshandlung dar und unterliegt dem auf den Vertrag anwendbaren Recht (Vertragsstatut). Nach diesem war im konkreten Fall keine Anfechtung möglich. Damit konnte eine Insolvenzanfechtung nach deutschem Recht nicht mehr erfolgen. Entscheidend für den EuGH war der Gedanke des Vertrauensschutzes des Zahlungsempfängers. Dieser soll davon ausgehen können, dass das Recht, das auf den Vertrag anwendbar ist, auch für die Zahlung gilt – und zwar auch, wenn diese durch einen Dritten erfolgt.

Ausnahmeregelungen geschickt nutzen 

Positiv gewendet kann diese in der EuInsVO enthaltene Ausnahmeregelung ggf. auch für eine geschickte Vertragsgestaltung genutzt werden. Denn momentan gibt es innerhalb Europas und insbesondere auch im Verhältnis zwischen Italien und Deutschland noch ganz erhebliche Unterschiede im Recht der Insolvenzanfechtung. Bestrebungen, diese wirtschaftlich relevanten Unterschiede europaweit durch ein einheitliches „materielles Insolvenzrecht“ anzugleichen, sind zwar (schon sehr lange) im Gange; wann (und ob überhaupt jemals) hier die Ungleichheiten abgeschafft werden, ist eine völlig offene Frage.

EuGH, Urteil v. 22. April 2021 – C-73/20 – Oeltrans Befrachtungsgesellschaft.

Dr. Stefanie Lebek
Rechtanwältin
Fachanwältin für Arbeitrecht
lebek@derra.it 

Karl-Heinz Lauser 
Rechtanwalt
lauser@derra.it