Vom langsamen Scheitern einer mutigen Reform – Neues zum Kündigungsschutz in Italien

Arbeitnehmern in Italien kündigen – das war viele Jahre lang ein Schreckgespenst für Arbeitgeber mit schwer abschätzbaren hohen Kosten, insbesondere mit Blick auf den unsicheren Ausgang des oft jahrelangen Kündigungsschutzprozesses und die entsprechend hohen Abfindungen. Gerade für international operierende Unternehmen war das italienische System schwer nachvollziehbar.

Das änderte sich 2015 mit dem sog. Jobs Act. Nun beendete auch eine sozialwidrige Kündigung das Arbeitsverhältnis neu eingestellter Arbeitnehmer; dieser hatte nur Anspruch auf eine an der reinen Betriebszugehörigkeit ausgerichtete Entschädigung mit Unter- und Obergrenze – je nach Unternehmensgröße zwischen 2 und 6 (bis 15 Arbeitnehmer) bzw. 4 und 24 speziell berechneten Monatsgehältern (ab 16 Arbeitnehmer). Der Arbeitgeber konnte nun in Italien sein wirtschaftliches Risiko bei Kündigungen kalkulieren und sich vorab hierauf einstellen.

Italienische Gesetzgeber und Verfassungsgerichtshof demontieren Jobs Act

Von dieser Reform ist schon nach nur fünf Jahren nicht mehr viel übrig. Zunächst hat der italienische Gesetzgeber 2018 die als Entschädigung zu zahlenden Gehälter von vier bis 24 auf sechs bis 36 Monatsgehälter erhöht. Dann hat der Verfassungsgerichtshof die Art der Berechnung der Entschädigungshöhe wegen Verfassungswidrigkeit gekippt. Neben der Betriebszugehörigkeit muss der italienische Richter nun auch weitere Elemente wie Beschäftigtenzahl, wirtschaftliche Situation des Unternehmens sowie das Verhalten und die individuellen Umstände der Parteien berücksichtigen.

Mit seiner neuesten Entscheidung vom 16. Juli 2020 hat der Verfassungsgerichtshof diesen Trend fortgesetzt. Auch bei formfehlerhaften Kündigungen muss die Berechnung der Entschädigung von ein bis 12 Monatsgehältern neben der Betriebszugehörigkeit nun die weiteren, bereits genannten Kriterien sowie die Schwere des Fehlverhaltens berücksichtigen.

Der Fortfall einer eindeutigen Entschädigungsberechnung hat erhebliche Folgen für Vergleichsverhandlungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer und führt zu unterschiedlichen Ergebnissen bei erstinstanzlichen Urteilen. Der Arbeitgeber muss damit rechnen, dass er – wie unlängst geschehen – dem nach einem Jahr gekündigten Arbeitnehmer eine Entschädigung von 10 Monatsgehältern (!) zahlen muss.

Und ob es wenigstens bei den Obergrenzen der Entschädigung bleibt, bleibt auch noch abzuwarten. Auf Anrufung durch die große italienische Gewerkschaft CISL hat der Europäische Ausschuss für Soziale Rechte im Februar 2020 entschieden, dass die Obergrenzen des sog. Jobs Act gegen die Europäische Sozialcharta verstoßen. Denn dem Arbeitnehmer werde so das Recht genommen, seinen ganzen tatsächlichen Schaden geltend zu machen.

Arbeitgeber müssen mit steigenden Abfindungsforderungen rechnen

Fazit: Die aktuelle Entwicklung stärkt die Stellung der Arbeitnehmer in einem Kündigungsrechtstreit und ihre Verhandlungsposition in den außergerichtlichen Vergleichsverhandlungen deutlich. Angesichts der hohen Verfahrenskosten und der bekanntermaßen arbeitnehmerfreundlichen Rechtsprechung, insbesondere auch der Instanzgerichte, werden sich Arbeitgeber zunehmend hohen Abfindungsforderungen ausgesetzt sehen. Nur kleine Arbeitgebern mit bis 15 Beschäftigte haben noch eine gewisse Verhandlungssicherheit bei (möglicherweise) sozialwidrigen Kündigungen. Um unverhältnismäßigen Forderungen von Arbeitnehmern in Italien entgegenzuwirken, ist eine sorgfältige Vorbereitung der Kündigung und eine professionelle Begleitung in Vergleichsverhandlungen anzuraten.

 
Dr. Stefanie Lebek
Rechtsanwältin