Keine Strafbarkeit nach § 266a StGB und §370 AO bei Betreiben eines Vermittlungsdienstes: Selbständig tätige Seniorenbetreuerinnen sind nicht immer als Scheinselbständige zu qualifizieren

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Zum Beschluss des OLG Zweibrücken vom 22.12.2022 – 1 Ws 225/21

Der Einsatz von selbständig tätigen Fachkräften im Gesundheitswesen wie etwa Honorarärzten und Honorarpflegekräften, insbesondere auch im Bereich der privaten häuslichen Pflege, ist nach wie vor verbreitet. Es ist zudem zu erwarten, dass zukünftig der Bedarf an privater häuslicher Pflege weiter ansteigen wird.  Werden solche (Pflege-) Fachkräfte von Ermittlungsbehörden (in der Regel: Hauptzollämter) als unselbständige Arbeitnehmer und deren Vertragspartner als Arbeitgeber qualifiziert, droht letzteren Ungemach in Gestalt von Ermittlungsverfahren wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt („Sozialabgabenbetrug“) und ggfs. Steuerhinterziehung. Sie haben sich auf Durchsuchungen, Beschlagnahmen oder gar einen vorläufigen Vermögensarrest zur Sicherung der Wertersatzeinziehung einzustellen. Gelegentlich bedarf es erst eines gerichtlichen Verfahrens, um die Einordnung der Ermittlungsbehörden von Beschuldigten als Arbeitgeber als falsch zu entlarven, wie die Entscheidung des OLG Zweibrücken zeigt.

Geschäftsmodell: Vermittlung von selbständig tätigen Betreuerinnen an inländische Haushalte

Die Angeschuldigten führten gemeinsam ein Unternehmen, das die Vermittlung von polnischen selbständigen Haushaltshilfen und Seniorenbetreuerinnen in inländischen Privathaushalten zum Gegenstand hatte. Das Geschäftsmodell dieser Agentur stellte sich – verkürzt –  wie folgt dar:

Den zu betreuenden Kundenhaushalten wurde von dem Unternehmen eine Seniorenbetreuerin aus dem zur Verfügung stehenden Personalpool nach vorheriger Auswahl zugewiesen. Nach der Anreise aus Polen wurden die Betreuerinnen von Mitarbeitern der Angeschuldigten abgeholt, zu dem Haushalt begleitet und dort im Rahmen des ersten Gesprächs in ihre Aufgaben eingewiesen. Die Betreuerinnen waren während des gesamten, von der Agentur im Vorfeld festgelegten Zeitraums im Haushalt untergebracht. Die Einsatzzeiten wurden ohne Absprache mit den Haushalten zwischen den Angeschuldigten und den Betreuerinnen festgelegt. Die Höhe der Entlohnung richtete sich nach von der Agentur festgelegten Tagestarifen, wobei die Betreuerinnen bei der Preisgestaltung nicht mitwirkten. Seitens der Agentur wurde während des gesamten Zeitraums regelmäßig Kontakt sowohl zu den Betreuerinnen als auch zu den Haushalten gehalten. Sie war Ansprechpartnerin bei Fragen und Problemen, wofür eine Notfallbereitschaft eingerichtet war. Im Falle der Erkrankung einer Betreuerin war diese der Agentur gegenüber zur Anzeige verpflichtet, die für Ersatz sorgte. Die Agentur stellte Rechnungen an die Haushalte, die das Entgelt an die Agentur bezahlten. Am Monatsende zahlte die Agentur ein Entgelt unter Abzug ihres eigenen Leistungsentgelts an die Betreuerinnen aus.

Entscheidung des OLG Zweibrücken

Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft zum Oberlandesgericht Zweibrücken gegen die Nichteröffnung des Hauptverfahrens durch das LG Kaiserslautern bestätigte das OLG die rechtliche Bewertung durch das Landgericht.

Maßgebliche Kriterien zur Frage des sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses

Das OLG weist eingangs darauf hin, dass es für die Frage, ob die Betreiber des Vermittlungsdienstes Arbeitgeber der Haushaltshilfen seien, auf die persönliche Abhängigkeit der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber ankommt. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Demgegenüber ist eine selbständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Entscheidend für die Beurteilung ist das Gesamtbild der Arbeitsleistung und welche der vorgenannten Merkmale überwiegen.

Keine Weisungsgebundenheit und keine betriebliche Eingliederung

Gemessen hieran haben – so das OLG –  im vorliegenden Fall keine sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse zwischen den Angeschuldigten und den jeweiligen Haushaltshilfen bestanden.  Die Haushaltshilfen unterlagen keinem Weisungsrecht, da nicht die Angeschuldigten, sondern die Betreuer sowie die Haushalte entscheiden konnten, wo welche Betreuerin eingesetzt wurde. Ferner ergibt sich ein für Arbeitnehmer untypischer Handlungsspielraum aus der Tatsache, dass die konkrete Ausgestaltung der jeweiligen Betreuung nach inhaltlich und zeitlich jeweils individuellen Erfordernissen zu erfolgen hat, die Pflegkraft flexibel reagieren muss und daher prinzipiell einen große Entscheidungsspielraum bei ihrer Tätigkeit hat. Auch sind die Betreuerinnen nicht in den Betrieb der Angeschuldigten eingegliedert gewesen: So hat es beispielsweise keinerlei Planung, welche Betreuerin in welchem Haushalt eingesetzt wird, gegeben. Die Angeschuldigten hatten auch nicht für eine Anschlussbeschäftigung der Betreuerinnen Sorge zu tragen. Das geringe unternehmerische Risiko der Betreuerinnen, fehlende Werbeaktivitäten und das Fehlen einer eigenen Betriebsstätte sprechen nach Ansicht des OLG nicht gegen ein unternehmerisches Tätigwerden. Schließlich gibt auch die Abwicklung der Zahlungen kein Hinweis auf eine abhängige Beschäftigung.

Fazit

Nach alledem waren die Angeschuldigten nicht als Arbeitgeber der Betreuerinnen zu qualifizieren, sodass eine Strafbarkeit wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt (§ 266a StGB) sowie Steuerhinterziehung (§ 370 AO) ausschied.

Die begrüßenswerte Entscheidung des OLG Zweibrücken zeigt, dass die Frage, ob eine Betreuungs- oder Pflegekraft selbständig tätig ist oder sich in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis befindet, nicht pauschal beantwortet werden kann. Es sind immer die Umstände des Einzelfalls in den Blick zu nehmen und sorgsam anhand der durch die Rechtsprechung entwickelten Kriterien zu prüfen. Staatsanwaltschaften und Hauptzollämter tun dies leider häufiger nicht mit der gebotenen Gründlichkeit und nehmen vorschnell eine unselbständige Beschäftigung mit all ihren strafrechtlichen Folgen für den (Schein-)Arbeitgeber an. Es ist dann Aufgabe des Verteidigers, die gebotene Einzelfallprüfung vorzunehmen und gegenüber den Ermittlungsbehörden und Gerichten die Interessen seiner Mandanten durchzusetzen.

Leider noch nicht abschließend geklärt ist indessen die Frage der Arbeitgeberstellung und damit einer Verpflichtung zur Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen privater Haushalte bei Beauftragung selbständiger Pflegekräfte im Rahmen der häuslichen (Ganz-) Tagespflege. Hier wäre es angesichts des zunehmenden Bedarfs an häuslicher Pflege wünschenswert, wenn durch den Gesetzgeber oder die Rechtsprechung eine Klarstellung erfolgen würde, wonach an die selbständige Tätigkeit solcher Pflegekräfte keine überspannten Anforderungen gestellt werden, um ein strafrechtliches und sozialversicherungsrechtliches Risiko für die privaten Haushalte in diesem Bereich zu beseitigen und Rechtssicherheit zu schaffen. 

 

Ralph E. Walker                                                                               Dr. Tobias Wickel

Rechtsanwalt                                                                                   Rechtsanwalt
Fachanwalt für Strafrecht

022 – 1 Ws 225/21

 

Der Einsatz von selbständig tätigen Fachkräften im Gesundheitswesen wie etwa Honorarärzten und Honorarpflegekräften, insbesondere auch im Bereich der privaten häuslichen Pflege, ist nach wie vor verbreitet. Es ist zudem zu erwarten, dass zukünftig der Bedarf an privater häuslicher Pflege weiter ansteigen wird.  Werden solche (Pflege-) Fachkräfte von Ermittlungsbehörden (in der Regel: Hauptzollämter) als unselbständige Arbeitnehmer und deren Vertragspartner als Arbeitgeber qualifiziert, droht letzteren Ungemach in Gestalt von Ermittlungsverfahren wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt („Sozialabgabenbetrug“) und ggfs. Steuerhinterziehung. Sie haben sich auf Durchsuchungen, Beschlagnahmen oder gar einen vorläufigen Vermögensarrest zur Sicherung der Wertersatzeinziehung einzustellen. Gelegentlich bedarf es erst eines gerichtlichen Verfahrens, um die Einordnung der Ermittlungsbehörden von Beschuldigten als Arbeitgeber als falsch zu entlarven, wie die Entscheidung des OLG Zweibrücken zeigt.

Geschäftsmodell: Vermittlung von selbständig tätigen Betreuerinnen an inländische Haushalte

Die Angeschuldigten führten gemeinsam ein Unternehmen, das die Vermittlung von polnischen selbständigen Haushaltshilfen und Seniorenbetreuerinnen in inländischen Privathaushalten zum Gegenstand hatte. Das Geschäftsmodell dieser Agentur stellte sich – verkürzt –  wie folgt dar:

Den zu betreuenden Kundenhaushalten wurde von dem Unternehmen eine Seniorenbetreuerin aus dem zur Verfügung stehenden Personalpool nach vorheriger Auswahl zugewiesen. Nach der Anreise aus Polen wurden die Betreuerinnen von Mitarbeitern der Angeschuldigten abgeholt, zu dem Haushalt begleitet und dort im Rahmen des ersten Gesprächs in ihre Aufgaben eingewiesen. Die Betreuerinnen waren während des gesamten, von der Agentur im Vorfeld festgelegten Zeitraums im Haushalt untergebracht. Die Einsatzzeiten wurden ohne Absprache mit den Haushalten zwischen den Angeschuldigten und den Betreuerinnen festgelegt. Die Höhe der Entlohnung richtete sich nach von der Agentur festgelegten Tagestarifen, wobei die Betreuerinnen bei der Preisgestaltung nicht mitwirkten. Seitens der Agentur wurde während des gesamten Zeitraums regelmäßig Kontakt sowohl zu den Betreuerinnen als auch zu den Haushalten gehalten. Sie war Ansprechpartnerin bei Fragen und Problemen, wofür eine Notfallbereitschaft eingerichtet war. Im Falle der Erkrankung einer Betreuerin war diese der Agentur gegenüber zur Anzeige verpflichtet, die für Ersatz sorgte. Die Agentur stellte Rechnungen an die Haushalte, die das Entgelt an die Agentur bezahlten. Am Monatsende zahlte die Agentur ein Entgelt unter Abzug ihres eigenen Leistungsentgelts an die Betreuerinnen aus.

Entscheidung des OLG Zweibrücken

Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft zum Oberlandesgericht Zweibrücken gegen die Nichteröffnung des Hauptverfahrens durch das LG Kaiserslautern bestätigte das OLG die rechtliche Bewertung durch das Landgericht.

Maßgebliche Kriterien zur Frage des sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses

Das OLG weist eingangs darauf hin, dass es für die Frage, ob die Betreiber des Vermittlungsdienstes Arbeitgeber der Haushaltshilfen seien, auf die persönliche Abhängigkeit der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber ankommt. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Demgegenüber ist eine selbständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Entscheidend für die Beurteilung ist das Gesamtbild der Arbeitsleistung und welche der vorgenannten Merkmale überwiegen.

Keine Weisungsgebundenheit und keine betriebliche Eingliederung

Gemessen hieran haben – so das OLG –  im vorliegenden Fall keine sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse zwischen den Angeschuldigten und den jeweiligen Haushaltshilfen bestanden.  Die Haushaltshilfen unterlagen keinem Weisungsrecht, da nicht die Angeschuldigten, sondern die Betreuer sowie die Haushalte entscheiden konnten, wo welche Betreuerin eingesetzt wurde. Ferner ergibt sich ein für Arbeitnehmer untypischer Handlungsspielraum aus der Tatsache, dass die konkrete Ausgestaltung der jeweiligen Betreuung nach inhaltlich und zeitlich jeweils individuellen Erfordernissen zu erfolgen hat, die Pflegkraft flexibel reagieren muss und daher prinzipiell einen große Entscheidungsspielraum bei ihrer Tätigkeit hat. Auch sind die Betreuerinnen nicht in den Betrieb der Angeschuldigten eingegliedert gewesen: So hat es beispielsweise keinerlei Planung, welche Betreuerin in welchem Haushalt eingesetzt wird, gegeben. Die Angeschuldigten hatten auch nicht für eine Anschlussbeschäftigung der Betreuerinnen Sorge zu tragen. Das geringe unternehmerische Risiko der Betreuerinnen, fehlende Werbeaktivitäten und das Fehlen einer eigenen Betriebsstätte sprechen nach Ansicht des OLG nicht gegen ein unternehmerisches Tätigwerden. Schließlich gibt auch die Abwicklung der Zahlungen kein Hinweis auf eine abhängige Beschäftigung.

Fazit

Nach alledem waren die Angeschuldigten nicht als Arbeitgeber der Betreuerinnen zu qualifizieren, sodass eine Strafbarkeit wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt (§ 266a StGB) sowie Steuerhinterziehung (§ 370 AO) ausschied.

Die begrüßenswerte Entscheidung des OLG Zweibrücken zeigt, dass die Frage, ob eine Betreuungs- oder Pflegekraft selbständig tätig ist oder sich in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis befindet, nicht pauschal beantwortet werden kann. Es sind immer die Umstände des Einzelfalls in den Blick zu nehmen und sorgsam anhand der durch die Rechtsprechung entwickelten Kriterien zu prüfen. Staatsanwaltschaften und Hauptzollämter tun dies leider häufiger nicht mit der gebotenen Gründlichkeit und nehmen vorschnell eine unselbständige Beschäftigung mit all ihren strafrechtlichen Folgen für den (Schein-)Arbeitgeber an. Es ist dann Aufgabe des Verteidigers, die gebotene Einzelfallprüfung vorzunehmen und gegenüber den Ermittlungsbehörden und Gerichten die Interessen seiner Mandanten durchzusetzen.

Leider noch nicht abschließend geklärt ist indessen die Frage der Arbeitgeberstellung und damit einer Verpflichtung zur Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen privater Haushalte bei Beauftragung selbständiger Pflegekräfte im Rahmen der häuslichen (Ganz-) Tagespflege. Hier wäre es angesichts des zunehmenden Bedarfs an häuslicher Pflege wünschenswert, wenn durch den Gesetzgeber oder die Rechtsprechung eine Klarstellung erfolgen würde, wonach an die selbständige Tätigkeit solcher Pflegekräfte keine überspannten Anforderungen gestellt werden, um ein strafrechtliches und sozialversicherungsrechtliches Risiko für die privaten Haushalte in diesem Bereich zu beseitigen und Rechtssicherheit zu schaffen. 

 

Ralph E. Walker                                                             Dr. Tobias Wickel Rechtsanwalt                                                                 Rechtsanwalt
Fachanwalt für Strafrecht